18 Jahre Offene Kinder- und Jugendarbeit in den Südblöcken – "Ich wünsche ihnen Kindheit"

Die sozialpädagogischen Angebote in den Südblöcken gibt es schon 18 Jahre – wir gratulieren! Seit 2003 bietet der Verein Räume für Kinder und Jugendliche, vor allem für jene, die „ihre Fähigkeiten frei entfalten wollen und von gesellschaftlicher Ausgrenzung betroffen sind“. Die Offene Kinder- und Jugendeinrichtung in der Kolhlfurter Straße 11 und der Mädchenladen in der Reichenberger Straße 21 stehen ihnen offen. Wir haben mit Geschäftsführerin Jessica Fuchs über ihre Arbeit und die Anfänge gesprochen:


Jessica, Loyal e.V. wird volljährig, herzlichen Glückwunsch. Wie hat das vor 18 Jahren angefangen und warst du von Anfang an dabei?

Ja, ich habe den Verein gegründet. Als alles anfing – vor 18 Jahren – war ich 19 Jahre alt. Es war eigentlich Zufall, bei meiner Erzieherinnen-Ausbildung hatte ich mich für den Profilkurs „Offene Kinder- und Jugendarbeit“ eingetragen. In diesem Rahmen gab es die Möglichkeit, in den Südblöcken ehrenamtlich zu arbeiten. Es ging um niedrigschwellige Angebote. Damals waren selten Familien, eher nur Jungen oder junge Männer in den Innenhöfen. Der Anfang war etwas schwer, es ging viel darum, Auseinandersetzungen und Konflikte einzugehen als auch auf Augenhöhe zu lösen. Zum Beispiel bei Spielen wie Brennball. Dabei kam es auch zu Eskalationen, bei denen wir uns selbst schützen mussten.

Wir hatten eine alte Waschküche mit nichts außer zwei Tischen und zwei Stühlen. Im Freundeskreis haben wir Spiele gesammelt, aus der Erzieherfachschule das Toilettenpapier mitgenommen. Das war der Anfang mit nichts. Wir hatten damals noch kein Geld.

Dann ging es trotzdem weiter, wie kam es dazu?

Ich habe gemerkt, egal welche und wie viele Konflikte man aushalten muss – es gab etwas in mir, das nicht gehen konnte. Ich bin da geblieben und wir konnten die Räume weiter nutzen. Damals wurde das Angebot begleitet vom Pestalozzi-Fröbel-Haus, wo ich meine Erzieherinnen-Ausbildung machte. Es war ein Gefühl von: Ich möchte hier bleiben und etwas Sinnvolles tun.

Wie war es mit der Finanzierung?

Die erste Finanzierung kam über das Programm Soziale Stadt, über einen kleinen Antrag. Das reichte dann für Stifte, Papier und ein paar Fußbälle. Später hat uns das Quartiersmanagement auch vorgeschlagen, eine Finanzierung für die Kinder- und Jugendarbeit zu finden. Das hat dann über Honorare und Sachmittel geklappt – von 2004 bis 2009 wieder über das Programm Soziale Stadt.

Ein Teil unserer festen Angebote werden über das Jugendamt finanziert – dank des Engagements unserer zuständigen Koordinatoren des Jugendamtes hat sich das auch verbessert und es wurden zwei halbe Stellen geschaffen. Aber wir werden auch über andere Gelder finanziert, sonst würde es gar nicht gehen. Leider soll demnächst auch eingespart werden. Wir sind immer noch nicht vollfinanziert, ein großer Teil wird ehrenamtlich abgedeckt. Die meisten im Team sind Honorarmitarbeiter, der Verein hat derzeit drei Teilzeit-Mitarbeiter mit halben Stellen. Die Stellen sind aber befristet.

Jetzt arbeiten wir ja sehr viel professioneller, aber wenn ich heute mit den Jugendlichen – die schon erwachsen sind – spreche, sagen sie: Das war die tollste Zeit. Obwohl wir damals nichts hatten. Aber wir waren da.

Woran denkst du liegt das, dass sie sich so positiv daran erinnern?

Ich denke, es hat mit uns zu tun. Die Kinder waren hauptsächlich draußen. In Großfamilien geht es nicht immer, allen Kindern zuzuhören. Ich glaube, das war für sie toll, noch andere Erwachsene außerhalb des schulischen Kontexts zu haben, denen sie etwas erzählen konnten. Es ging um das Zuhören und ernst nehmen. Das ist auch heute noch so.

Auf eurer Webseite steht, ihr möchtet eine „stabile und sichere Bindung zu den Kindern, Jugendlichen und Familien aufzubauen“. Das klingt nach viel Arbeit…

Du hast recht, da steckt Arbeit drin. Es heißt ja auch „Beziehungsarbeit“. Wir wollen für die Kinder und Jugendlichen da sein und sie absolut ernst nehmen. Wenn sie zum Beispiel möchten, dass etwas nur bei uns bleibt, dann bleibt es nur unter uns. Sie können darüber Gewissheit und Vertrauen haben und es gibt immer eine Anlaufstelle für sie, auch wenn man sich gerade mal nicht versteht.
Die Bindungen haben etwas mit der Geschichte, die man zusammen erlebt, zu tun. Und auch mit Konflikten, die man gemeinsam austrägt. Das stärkt aber auch und wir schauen nicht weg, gehen diese Konflikte ein und streiten uns – wie es in einer Familie ist, aber natürlich in einem professionellen Rahmen. Das muss sein, damit die Kinder merken, wenn sie eine Grenze überschreiten.

Kennst du die meisten Familien alle persönlich?

Ja, es ist meist so, dass die Kinder und Jugendlichen von damals schon selbst Kinder haben. Diese kommen wiederum zu uns. Das finde ich sehr schön, wenn man zum Beispiel schon den Vater begleitet hat.

Es ist aber nicht immer alles gut. Das ist bei langen Beziehungsarbeiten eben so. Manchmal gibt es Themen, die ich dann lieber abgeben möchte an Kollegen, die noch nicht so eine lange Beziehung haben.

Wie ist das mit euren Angeboten, welche gibt es?

Die festen Angebote sind viermal pro Woche offen: Es gibt den Mädchenladen in der Reichenberger Straße 21 und die offene Kinder- und Jugendeinrichtung in der Kolhlfurter Straße 11. Der Mädchenladen ist sehr wichtig, denn die öffentlichen Räume am Kotti sind wie ich finde eher männerdominierend. Der Mädchenladen dagegen ist ein Ort, wo die Mädchen für sich sein und sich stärken können. Sie können ihre Ideen bei uns umsetzen.

Welche anderen Angebote gibt es?

Das, was obendrauf kommt, ist ein Projekt über Aktion Mensch: die Medienangebote. Es gibt den „Medienparcours“ und es können Geräte ausgeliehen werden. Die Kinder und Jugendlichen unterschreiben einen Medienvertrag, bekommen einen Ausweis und Geräte wie Playstation oder Tablets. Ich hoffe, dass wir das Projekt nochmal verlängern können, eigentlich läuft es Mitte 2022 aus. Medienarbeit ist unglaublich wichtig, gehört dazu.

Zu diesem Projekt gehören auch die „Bewerbungstage“. Da können an zwei Tagen pro Woche die Jugendlichen Bewerbungen schreiben. Die meisten haben keine Lust drauf, aber wir schauen in einer eins zu eins Betreuung: Was willst du denn wirklich machen? Welche Voraussetzungen brauchst du?

Außerdem machen wir viel über Instagram. Zum Thema Wahlen habe ich eine Story gemacht, „wie man Merkel wird“. Es ging im weitesten Sinne darum, wie man Politiker oder Politikerin wird. Von zwei Kollegen habe ich Avatare erstellt und ihren Werdegang erzählt: Wie wäre es, wenn sie nicht bei Loyal arbeiten, sondern den Weg in die Politik gegangen wären und welche Schritte hätten sie dafür tun müssen.

Wenn ihr euch etwas wünschen könntet zum 18., was wäre das?

Schön wäre es, eine langfristige Regelfinanzierung zu haben. Damit könnten wir in einer Gewissheit planen. Ehrenamt ist gut, aber es hat auch seine Grenzen – vor allem, wenn man selbst ein Kind hat.

Für die Kinder und Jugendlichen: Ich wünsche ihnen Kindheit. Das haben sie oft nicht. Sie kommen oft mit einem großen Paket, wie sie zu sein haben müssen. Mit viel zu jungen Jahren müssen sie erwachsen sein. Die Medien und die Klamottenindustrie spiegelt ihnen das auch wider. Unser Ansatz ist: Wenn sie zu uns kommen, können sie einfach Kind sein.

Danke für das Gespräch!

Loyal e.V. Online:

Zur Webseite geht es hier, zum Instagram-Channel hier.

Ergänzende Information vom Quartiersmanagement:

2008-2010 wurde Loyal e.V. über das Programm „Soziale Stadt“ dabei unterstützt, die 2008 neu bezogenen Räumlichkeiten in der Reichenberger und Kohlfurter Straße infrastrukturell auszustatten. Darüber hinaus wurden die Bildungs- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche finanziell unterstützt. Gesamtfördersumme 2008-2010: 125.193,75 Euro