Für alle immer ein offenes Ohr!

Seit November 2021 ist das Projekt der mobilen Stadtteilarbeit „ KOTTImobil“ (Kotti e.V.) im öffentlichen Raum rund um das Kottbusser Tor sowie am Mariannen- und Oranienplatz präsent. Drei Sozialarbeitende des Vereins sind an drei Tagen in der Woche Ansprechpartnerinnen bzw. Ansprechpartner für alle Menschen – ob bei Fragen, Problemen, Hilfebedürfnis oder einfach nur zum Reden. Sie helfen beim Ausfüllen von Formularen oder Anträgen für die Ämter und begleiten die Bewohnenden auf Wunsch auch dorthin. Für alle haben Gülcan, Omar* und Jamschid stets ein offenes Ohr, egal in welcher der fünf Sprachen, die sie beherrschen. Sie drängen sich nie auf, sondern laden ein. Mit einem Kaffee oder einem Ballspiel, beides haben sie in ihrem Lastenrad, ihre „mobile Praxis“. Egal welche Krise, ob Corona, Preissteigerung und Inflation, Ukraine-Krieg oder Erdbeben in der Türkei und Syrien: Der Redebedarf im Stadtteil ist hoch.


Zu den Kernaufgaben der mobilen Stadtteilarbeit gehören die gemeinschaftliche Konfliktbearbeitung, die Vorbeugung von Vereinsamung und sozialer Ausgrenzung sowie die Ermöglichung von Gemeinschaftsförderung: „Wir greifen Bedürfnisse, Anliegen, Problemlagen der Bürgerinnen und Bürger auf und unterstützen sie diese zu artikulieren.“

Wieviel Gespräche werden ca. in einem Jahr mobiler Sozialarbeit geführt? „10 bis 15 pro Tag“, schätzt Jamschid. Das sind bis zu 45 pro Woche und über 2000 in einem Jahr. Und diese vielen Gespräche erlaubten dem Team ein Sondieren der Befindlichkeiten, das Fühlen des Pulses des Stadtteils. In einer Zeit, in der eine Krise der nächsten folgt, die Menschen Zukunftsängste haben und den Alltag nur schwer bewerkstelligen können, sind Gülcan, Omar* und Jamschid nicht nur „stumme“ Zuhörende, sondern geben Rat, bieten Hilfe an, unterstützen nach ihren Möglichkeiten und übernehmen nicht selten die Rolle von „Psychologen“.

Das Projekt wurde von Anfang an mit der Kamera begleitet und so konnte das Erlebte, das Gehörte, all die verschiedenen, z.T. konträren Aussagen, die zahlreichen Sorgen und Probleme der Menschen festgehalten werden. So erzählte eine Mutter, dass ihre Tochter missbraucht wurde, ein Mann, dass er aufgrund der Arbeitslosigkeit infolge von der Corona-Pandemie nun obdachlos sei, dies aber verheimliche, und ein älterer Herr, der seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, viel lieber zurück in die Türkei wolle.

Es entwickelte sich die Idee, die Erfahrungen und Begegnungen zu zeigen: in einer Foto-Ausstellung im Stadtteilzentrum Familiengarten und einer Broschüre. Den Besuchenden wurde mittels Fotografien und einer Auswahl aussagestarker Zitate ein Einblick in die Lebenswelten der Menschen im Quartier gewährt, -- für Gülcan, Omar* und Jamschid sind sie das eigentliche Herzstück der Ausstellung.

Für die Sozialarbeitenden von Kotti e.V. ist die Ausstellung nicht nur eine Dokumentation ihrer Arbeit, sondern auch eine Art, die vielen geteilten Geschichten zu verarbeiten. Er nehme viel mit nach Hause, sagt Omar* und Gülcan fügt hinzu, dass ihre Arbeit ein Nehmen und Geben sei und sie auf ihre Empathiefähigkeit achten müsse, um diese zu schonen. Aber in einem guten Team, welches sich gegenseitig unterstützt und ergänzt, so sind sich die drei einig, falle dies etwas leichter.

Nach fast zwei Jahren mobiler Stadtteilarbeit sind die Sozialarbeitenden von der Sinnhaftigkeit und Nutzen mobiler Sozialarbeit zutiefst überzeugt. An ihrer Arbeit gefällt ihnen, dass sie nicht nur beraten sondern auch mitgestalten können, bspw. wenn sich Beziehungen aufbauen und festigen, sich Interessensgruppen bilden oder Unterstützung bei der Gründung eines Vereins benötigt wird.

Insgesamt, so betonen Gülcan, Omar* und Jamschid, ist der Stadtteil reich an Ressourcen, an aktiven Vereinen, engagierten Initiativen. Zudem ist das Mitgefühl der Kreuzbergerinnen und Kreuzberger, im Vergleich zu anderen Bezirken besonders. So kommen sogar aus dem entfernten Spandau oder aus Marzahn viele Menschen in das Quartier, weil sie sich hier gut aufgehoben fühlen und vor allem die Vielfalt, Toleranz und Hilfsbereitschaft schätzen.

Mittlerweile gehören Gülcan, Omar* und Jamschid schon zum Stadtbild. Fast jeder im Quartier kennt sie vom Sehen. Wer sie mal persönlich sprechen will, findet sie hier:

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Das Sternchen hinter dem Namen Omar bedeutet, der Name wurde für die Veröffentlichung im Internet geändert